Rund um glücklich die magische Anziehungskraft der Bodenseeregatta

Die „Rund um den Bodensee“ des Lindauer Segler-Clubs ist der Langstreckenklassiker schlechthin nördlich der Alpen. Alljährlich an einem Freitag Anfang Juni versammeln sich an die zwei-tausend Segler, um auf die 100 Kilometer lange Strecke rund um den Bodensee zu gehen. Die Hohentwiel fungiert als Startschiff. Über 300 Boote waren 2018 am 1. Juni dabei.

Text Dr. Volker Göbner  Fotos Markus Gmeiner  Foto- und Textredaktion agenturengel  Published nobleSee 09, 2019

Es ist 19.30 Uhr, das Startsignal steigt über der Hohentwiel in den Himmel. Doch auf dem Wasser regt sich diesmal: nichts. Eigentlich soll die Armada der untergehenden Sonne entgegensegeln – aber ohne Wind geht das schlecht. Kaum ein Schiff bewegt sich. Minutenlang dümpeln sie auf der Stelle, also auch auf der fast zwei Kilometer langen Startlinie. Die wird gebildet durch die Hohentwiel und zwei Bojen. Auf der einen Seite, zur Lindauer Insel hin, gehen die schnellen Rennschiffe und Katamarane ins Rennen, auf der anderen See zum See hin die unzähligen konventionellen Schiffe und Fahrtenyachten. Wer diesmal direkt neben der Hohentwiel startet, könnte sich gut und gerne ein Glas Sekt oder Bier herüberreichen lassen. Es wäre genügend Zeit, das Glas zu leeren und es ein paar Meter weiter vorne wieder zurückzugeben.
Eine halbe Stunde vergeht – und die meisten Boote stehen immer noch auf der Startlinie. Zeit genug, um die Gäste des LSC an Bord über die Teilnehmer zu informieren. Lukas Hummler und Mufti Kling, intime Kenner der Segelszene am See, plaudern aus dem Nähkästchen. Etwa über die „Bayern II“, das 1911 gebaute Flaggschiff des LSC. Jugendwart Robby Nitsche segelt den Oldtimer mit einer Jugend-Crew. Oder über die Rennschiffe auf der Seite, die Sieger der „Rund um“ der vergangenen Jahre – Ralph Schatz mit der „Orange Utan“ oder die Schweizer Albert Schiess auf der „Holy Smoke“, Stefan Stäheli mit „Sonnenkönig“ und der Österreicher Fritz Trippolt auf der „Skinfit“ – und ihre Herausforderer, die auch vom Genfer See oder der Ostsee kommen.

„Freundliches Gewitter“

Es dauert lange, bis die Boote auch nur ein paar Kabellängen (100 Meter in der Sprache der Seeleute) voran-kommen. Entsprechend spät lichtet die Hohentwiel den Anker und folgt dem Regattafeld. Inzwischen braut sich ein Gewitter über dem Schweizer Ufer zusammen, das letztlich zwar Regenschauer, aber keinen stürmischen Wind bringen wird. Doch für die Segler reicht es, um endlich in flotte Fahrt zu kommen. Wettfahrtleiter Hans-Joachim Holz kommentierte später, als sich die Sorgenfalten auf seiner Stirn wieder geglättet hatten: „Das Wetter war ein freundliches Gewitter mit höchstens fünf Beaufort.“
Die Hohentwiel begleitete das Feld noch eine Zeit, ehe sie in einem großen Bogen wieder zurück nach Lindau steuerte und ihre Gäste an Land brachte, wo sie im Festzelt des LSC auf einer Leinwand den Rennverlauf verfolgen konnten.
Mit einigen Unterbrechungen wehte der Wind bis in den nächsten Tag hinein, so dass 217 Boote auch ins Ziel kamen. Kurz vor halb drei Uhr nachts war Sammy Smits vom Yacht-Club Arbon mit seinem Katamaran „Green Horny“ als schnellstes Schiff wieder zurück. Dabei war er längst abgeschlagen gewesen. Erst als die bis dahin führenden Boote schon in Sichtweite von Lindau in einer Flaute stillstanden, umkurvte Smits das Windloch einfach weit draußen im See. Knapp sieben Stunden hatte er für die Strecke über Romanshorn, Konstanz, Überlingen und zurück nach Lindau gebraucht und damit die 68. „Rund um den Bodensee“ gewonnen.

Die Anfänge einer großen Regatta

Die „Rund um“ hat eine lange Geschichte. Bei einem Treffen der Segelvereine am Bodensee 1951 fand der Lindauer Vorschlag einer Wettfahrt um den ganzen See herum großen Anklang. Die Meersburger und die Überlinger wollten mithelfen und so wurde später die entfernteste Wendemarke vor dem Bodensee-Yachtclub Überlingen gesetzt. Und mit dem Yachtclub Meersburg wurde vereinbart, dass jedes Boot, das die Boje vor der Stadt runde, eine Flasche „besten Meersburger“ erhalten solle.
Die Hoheit auf dem See hatte 1951 die französische Besatzungsmacht – und bei deren Kommandatur musste noch die Zustimmung für eine Nachtfahrt eingeholt werden. Denn der Start war zwar für acht Uhr morgens vorgesehen, aber es war absehbar, dass die Regatta bis in die Nacht hinein andauern würde. Die „Gendarmerie Maritime“ in Konstanz gab vier Tage nach Eingang der schriftlichen Anfrage dem LSC grünes Licht für die Veranstaltung. Auch der Zoll redete mit und erließ eine ganze Reihe von Bestimmungen für den zollamtlichen Verkehr von Schiff, Ausrüstung, Proviant und Mannschaft.
Am 16. Juni 1951 war es dann so weit. 45 Boote gingen ab acht Uhr morgens an den Start. Damals wurde noch gruppenweise gestartet, die Abstände betrugen fünf Minuten. Es war ein spannendes Rennen, denn den Sieg holte sich die 8-m-R-Yacht „Bayern II“ des LSC erst kurz vor dem Ziel in Lindau – mitten in der Nacht.
Im Jahr darauf hatte man mit Rücksicht auf die im westlichen Teil des Sees beheimateten Boote den Start nach Romanshorn verlegt. Die Bahn wurde aufgrund stürmischen Wetters abgekürzt. Die Lindauer hatten zwar alles organisiert – aber durch die Abkürzung kein einziges Schiff vor ihrem Hafen gesehen. Erstmals als Nachtregatta mit Start am Abend vor Lindau wurde die „Rund um“ 1953 gesegelt. Zum einen wollten die Segler tatsächlich vor allem in der Nacht segeln – und die Zielrichter nicht bei Nacht und Nebel auf die Ziellinie starren.

© Markus Gmeiner

1991 waren 560 Yachten dabei

Schnell gewann die Regatta an Beliebtheit. 1969 führte man die kurze Bahn für kleinere Schiffe (von Lindau bis Konstanz und zurück) um das „Kleine Blaue Band“ ein. Mitte der 1980er Jahre bewegte sich die Zahl der Schiffe auf die 500 zu, 1991 verzeichnete man eine Rekordteilnehmerzahl von 560 Yachten. Mit dem Aufkommen der Kunststoff-Rümpfe war die Zeit der großen klassischen Yachten an der Spitze vorbei. Ab den 1990er Jahren dominierten dann die „Liberas“ – als „Rennziegen“ titulierte Schiffe mit flachem Rumpf, tiefem Kiel, extrem hohem Mast und zwölf Mann Besatzung im Trapez, damit sie bei Wind nicht umkippen.
2007 gab es dann wieder eine revolutionäre Veränderung: Mehrrumpfboote wurden zugelassen. Begleitet von vielen Diskussionen (und der Stiftung eines neuen Pokals für die konventionellen Boote) gingen sie ins Rennen. Doch da wehte wieder kaum Wind. Der Lindauer Werni Hemmeter hatte sich geschickt von Windstrich zu Windstrich gesegelt und war mit seinem Einrumpfboot „Da Capo“ nach 12 Stunden und 31 Minuten als Erster im Ziel – fast dreieinhalb Stunden vor dem ersten Katamaran. Doch seither dominieren tatsächlich fast immer nur die „Kats“ das Geschehen an der Spitze. Den Rekord stellte der Niederländer Jonny Hutchcroft 2008 auf, als er nach nur vier Stunden, 41 Minuten und 37 Sekunden schon wieder durchs Ziel raste – also schon kurz nach Mitternacht.

Perfekte Ausrüstung – oder kalte Knochen

Die Segler auf den Rennschiffen sind perfekt ausgestattet: Atmungsaktive Kleidung von Kopf bis Fuß, regattataugliche Schwimmwesten, Stirnlampen für die Nacht und den vorgeschriebenen Notblitz am Oberarm (falls man ins Wasser fällt). Sie werden auf alle Fälle nass – von außen durch Spritzwasser oder Regen und von innen, weil so eine Rennmaschine für die meisten einem mehrstündigen Besuch im Kraftraum gleichkommt. Sie wollen möglichst schnell wieder zurück sein.
Und die anderen: Auch bei guter Ausstattung auf einem Fahrtenschiff kriecht so etwa gegen drei Uhr nachts die Kälte in die Knochen. „Warum tue ich mir das immer wieder an, diese Kälte und diese Müdigkeit?”, fragt sich so mancher Segler. Der Lindauer Stephan Frank, seit rund 40 Jahren immer wieder dabei, ist sich sicher: „Gäbe es eine gute Fee, die kurz vor Sonnenaufgang ein warmes, trockenes Bett im Tausch gegen das Schiff verspräche – die Fee wäre im Laufe der Zeit Eignerin der Hälfte aller Segelboote auf dem See geworden!“
Dabei gibt es gute Gründe, immer und immer wieder bei der „Rund um“ dabei zu sein. Frank strahlt, als er von seinem ersten „Sieg“ erzählt. Es war zu den Zeiten, als er noch Folkeboot segelte, die kleinste zugelassene Klasse. Er hatte die rote Laterne der „Folkes“ im Abo. Aber dann lief er vor Langenargen auf ein anderes Folkeboot auf. „Über Stunden fahren wir nebeneinander her – und allen ist klar: Wer in Lindau eine Bootslänge hinten liegt, wird Letzter!“ Er war zum ersten Mal nur Vorletzter.
Eine halbe Saison bereitet man sich und das Schiff auf diese Regatta vor – um dann das restliche Jahr davon zu erzählen. Nach der „Rund um“ ist vor der „Rund um“. 2019 ist der Start am 21. Juni.

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