Die Vollstreckerin des Glücks Kurrestaurant Leiterin Jutta Loibner

Sie steht um fünf Uhr früh auf, macht während ihrer Arbeit lockere fünfzehntausend Schritte, hat ihre Augen überall, kennt jeden mit Namen und Diät, ist aufmerksam, bemüht und hält das Räderwerk am Laufen. Manche Gäste sagen, sie sei streng. Andere nennen sie gar die willige Vollstreckerin von Doktor Moosburger. Solch Gemunkel nimmt Jutta Loibner mit Humor. Sie liebt es, Gäste zu umsorgen und darauf zu achten, dass es – im Rahmen ihrer Möglichkeiten – jedem gut geht. Das Kur-Restaurant in der Rickatschwende leitet sie seit sechs Jahren.

Text Marlene Mendel  Fotos hiepler, brunier  Foto- und Textredaktion agenturengel  Published Rickatschwende Magazin mayr 02, 2019

Jutta Loibner kam 1961 zur Welt und wuchs mit acht Geschwistern in Alberschwende auf. Sie kocht gern für andere und bringt ihre Freundinnen regelrecht zur Verzweiflung, weil sie nur schwer sitzen bleiben kann, wenn sie selbst wo eingeladen ist. Immer in Bewegung. Schon vormittags hat sie meistens ihr Soll an Schritten erreicht. Das hält sie nicht davon ab, drei- bis viermal wöchentlich nach der Arbeit ausreichend Sport zu betreiben, am liebsten in der Natur: Wandern, Fahrradfahren, Skifahren. Yoga praktiziert sie seit drei Jahrzehnten. Herumsitzen geht gar nicht, dann lieber gemütlich im Liegestuhl ein Buch lesen, in Götzis, wo sie wohnt, oder aus einer alten Lederjacke ein neues Stück nähen. Nach zwei abgeschlossenen Ausbildungen – eine zur Konfektion und Maßschneiderei und eine Frisörlehre – brachte sie mit neunzehn eine Tochter zur Welt. Die Gastronomie bot ihr eine gute Möglichkeit, nach der Babypause wieder ins Berufsleben einzusteigen. Was nur vorübergehend sein sollte, wurde zu einer Leidenschaft, die bis heute anhält.

Kennen wir uns?

© hiepler, brunier

In Dornbirn kommt sie jedem irgendwie bekannt vor, von früher irgendwie, von irgendwoher, von woher genau weiß man nicht, bis es einem plötzlich einfällt. Jutta hat in drei der bekanntesten Lokale gearbeitet, mit denen fast jeder Einheimische im Laufe seines Lebens einmal in Kontakt kommt. Als junger Mensch tanzt man sich am Wochenende durch die Disco Sender – im Ried zwischen Lustenau, Dornbirn und Lauterach neben einer historischen Holzbrücke gelegen, mutet das Tanzlokal an, als hätte man es beim Lufttransport auf dem Weg in die Großstadt versehentlich fallen lassen und vergessen. Dort managte Jutta vierzehn Jahre nachts den Barbetrieb. Danach wechselte sie in das renommierte Kaffee Steinhauser am Marktplatz, das sie elf Jahre lang leitete, bis Wolfgang Preuß sie in das Event-Lokal „Wirtschaft“ in die Bahnhofstraße holte, wo neben Konzerten, Kabarett und Comedy ein erlesenes Sechsgänge­-Flying-Dinner serviert wird. Jutta fungierte dort auch als Bankettmanagerin. Ihre Professionalität sprach sich herum. Man holte sie in die Rickatschwende.

Frühstück ohne Putin, Trump und Merkel

Anfangs musste sich Jutta Loibner umstellen, war sie es bisher doch gewöhnt, dem Gast zu bringen, was er sich wünschte, egal ob Schweinsbraten und Bier oder Knäckebrot und Hüttenkäse. Während einer Kur wünscht man sich jedoch manchmal etwas anderes als die Diät, die mit dem Arzt vereinbart ist. Verzicht fällt schwer. Nicht jeder ist ausreichend informiert. Nicht jeder weiß, dass es zum achtsamen Essen gehört, das Handy nicht zu benützen, keine Zeitung zu lesen, wenig zu sprechen und sich mit allen Sinnen auf die Nahrungsaufnahme zu konzentrieren. Jutta klärt auf. Es gehört zu ihrem Job, dafür zu sorgen, dass der Gast die vom Arzt verschriebene Diät einhält. Von ihr wird verlangt, konsequent zu sein. So kann sich der Arzt auf sie verlassen, die Diät wirkt und die Gäste reisen am Ende der Kur erholt, mit strahlenden Gesichtern, frischer Hautfarbe und um einige Kilo leichter ab. Dafür bekommt sie Anerkennung, schlussendlich auch von den Gästen, die ohne ihre Unterstützung vielleicht schwach geworden wären.

Man muss sich gegenseitig helfen, das ist ein Naturgesetz.

La Fontaine

Ein Top-Ten-Arbeitsplatz

Wer soll wo sitzen? Mit rauchendem Kopf brütet sie im Speisesaal über der Sitzordnung und versucht mit Fingerspitzengefühl und Menschenkenntnis die Quadratur des Kreises: Nicht jeder will mit jedem, aber jeder will vor dem Panoramafenster sitzen – zweifellos der beste Platz. Von hier kriegt Jutta jede Kapriole am Himmel über Rheintal und Bodensee mit. Hätte sie eine gute Kamera, würde sie den ganzen Tag fotografieren: Federwolken, Schleierwolken, Kumuluswolken, Wolkentürme, Wolkenfronten, Gewitter­wolken, Sturmwolken, Fönwolken, tiefes Blau, Nebel, Regen, Schneegestöber und Sonnenuntergänge, einer atemberaubender als der andere. Die vierzehn Jahre nachts an der Bar machten ihr nichts aus, aber seit sie in Rickatschwende ist, merkt sie, wie sich das Wohlbefinden steigert, wenn der Arbeitsplatz so eine Qualität hat. Sie fühlt sich privilegiert. Hätte Jutta gewusst, wie es ist, in einem Hotel zu arbeiten, hätte sie viel früher damit begonnen. Hier darf sie mit Menschen in Beziehung treten, sie über einen Zeitraum begleiten und sie kennen­lernen, etwas, das in einem Kaffee­haus schwer möglich ist. Die Menschen sind es, die ihre Arbeit abwechslungsreich machen. Sie bringen ihre Geschichten mit, ihre Sorgen und Bedürfnisse. Sie kommen von weit her, haben interessante Berufe und tragen ein Stück Welt herein. „Sind Sie dann noch da, nächstes Jahr, wenn ich wiederkomme?“, fragte ein Gast. Das hofft Jutta Loibner. Auch wenn es nicht immer einfach ist, kann sie sich keinen besseren Arbeitsplatz vorstellen.

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