„Ich kann einen Glücksmoment fabrizieren“ Der aus Bregenz stammende Grafikdesigner und Star seiner Zunft über Design und Glück.

Text Luis Bentele  Fotos Sagmeister & Walsh Foto- und Textredaktion agenturengel  Published tRAUM 01, 2014

 

Stefan Sagmeister ist so etwas wie ein internationaler Popstar der Grafikdesign-Szene. Kein anderer brachte es auf diesem Gebiet zu derart großer Bekanntheit. Er arbeitete unter anderem für Time-Warner, das Guggenheim Museum, Lou Reed, die Rolling Stones oder die Zumtobel AG. Der Designer wurde ganze sechs Mal für den Grammy nominiert und erhielt ihn auch zweimal. Seit Juni vergangenen Jahres führt er seine New Yorker Agentur zusammen mit der Designerin Jessica Walsh unter dem Namen „Sagmeister & Walsh“. Außerdem wurde ihm vor kurzem das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen.

Wie kann Design glücklich machen?
Stefan Sagmeister: Ich habe eine wiederholbare Technik entdeckt, einen Glücksmoment zu fabrizieren.

Aha, und wie funktioniert das?
Stefan Sagmeister: Ich nehme einen Motorroller, eine selten befahrene Landstraße in einer schönen Umgebung mit wenig Polizeikontrollen, sodass ich ohne Helm fahren kann. Dann brauch ich ein Dutzend Lieder auf dem Telefon, von denen ich glaube, dass sie mir gefallen werden, die ich aber nicht gut kenne plus den Vorsatz, ohne Plan und Ziel herum- zufahren: Da läuft es mir jedes Mal kalt und warm den Rücken hinunter, ein biologisch feststellbarer Glücksmoment also. An der Herstellung dieses Momentes sind gleich drei Designobjekte beteiligt: Der Motorroller, der MP3-Player auf dem Telefon und die Landstraße. Natur und Musik helfen fest mit.

Welche Ihrer Entwürfe machen glücklich?
Stefan Sagmeister: In den letzten beiden Jahren fragte ich das Publikum am Anfang meiner Präsentationen per Handaufzeigen, wie glücklich sie auf einer Skala von 1 bis 10 sind (0 = feelslikeshit, 2 = doing badly, 4 = bored, 6 = well, 8 = love life, 10 = fantastic). Ich frage dasselbe dann immer noch einmal am Ende des Vortrags. Die zweite Umfrage bringt immer viel bessere Resultate, egal ob ich in Brasilien, Norwegen, Iran oder Ecuador vortrage. Ich glaube allerdings nicht, dass mein Vortrag oder die darin gezeigte Arbeit die Leute wirklich glücklicher macht. Diese Erfahrungen muss man schon selber machen. Wenn man mir beim Fahrradfahren zuschaut, wird man davon auch nicht dünner.

Das heißt, Design kann auch unglücklich machen, oder?
Stefan Sagmeister: Aber ja, und zwar in der gesamten Bandbreite: Schlechtes Design kann mir ein klein wenig auf den Wecker gehen, und es kann mich umbringen.

Was sind denn besonders unglücklich machende Entwürfe?
Stefan Sagmeister: Die schlechte Typografie des Stimmzettels im County Miami Dade, das George W. Bush zum Präsidenten machte und uns sowohl den Irak- als auch den Afghanistankrieg brachte. Und die Weltwirtschaftskrise.

Was bedeutet Glück für Sie persönlich?
Stefan Sagmeister: Mein Lieblingsversuch, eine Definition von Glück zu finden, funktioniert so: Es geht dabei um eine Einteilung nach Zeitdauer. Da gibt es das ganz kurze Glück, zum Beispiel den sekundenlangen Glücksmoment wie etwa meine angesprochene Motorrollergänsehaut. Dann ist da ein mittellanges Glück wie die Zufriedenheit, die stundenlang anhalten kann und noch das ganz lange Glück. Dabei geht es darum, das zu finden, was man mit seinem Leben machen will, den Lebenszweck sozusagen.

Wie hat sich das Glücksgefühl in einer immer noch konsumorientierteren Welt verändert?
Stefan Sagmeister: Kaum. In den letzten 50 Jahren hat sich das inflationsangeglichene Einkommen im Westen verdreifacht, das Glücksgefühl ist konstant geblieben.

Wie gehen Konsum und Glück für Sie zusammen?
Stefan Sagmeister: Wenn ich mir ein Glückslos kaufe…

Wie steht es mit der Paarung Luxus und Glück?
Stefan Sagmeister: Wir haben vor vielen Jahren eine Modebroschüre für meine damalige Freundin Anni Kuan gestaltet, in der die Mode so präsentiert wurde, dass sich der Spruch „Material luxuries are best enjoyed in small doses“ ergab. Das glaub ich auch heute noch.

Sie halten auf der ganzen Welt Vorträge über all das, was Design bringen kann. Was ist die meistgestellte Frage aus dem Publikum?
Stefan Sagmeister: Haben Sie immer noch Narben? (Wir hatten vor vielen Jahren ein Poster für einen Vortrag in Detroit gestaltet, auf dem alle Typografie in meinen Körper geritzt war.)

Und die Antwort?
Stefan Sagmeister: Nein.

Was war das Schönste, was Ihnen jemand nach einem solchen Vortrag sagte?
Stefan Sagmeister: Am meisten gefreut hat mich das E-Mail eines 15-jährigen Besuchers unserer Happy Show-Ausstellung in Toronto, der nach dem Besuch der Show endlich den Mut gefasst hat und ein Mädchen, in das er schon lange verliebt war, geküsst hat.

Wie gehen Sie an einen Entwurf heran? Was inspiriert Sie?
Stefan Sagmeister: Ein neu bezogenes Hotelzimmer funktioniert oft gut. Weit weg vom Studio lässt es sich unbefangener nachdenken.

Wie hoch ist der Rechercheanteil?
Stefan Sagmeister: Für unseren „Happy Film“ habe ich dutzende Wissenschaftler und Psychologen interviewt und viele, viele Bücher gelesen. Bei einfacheren Themen wird bei uns auch gerne aus dem Bauch heraus gestaltet.

Was kann gutes Design im besten Fall?
Stefan Sagmeister: Den Betrachter und Benützer entzücken oder ihnen helfen. Im besten Fall beides.

Wie hoch ist der Anteil von Glück an Ihrem Erfolg?
Stefan Sagmeister: 72 Prozent. Der Rest besteht aus Arbeit, Manner-Schnitten und Talent.

Ein Statement in Ihrem Buch „Things I have learned in my life so far“ lautet „Geld macht mich nicht glücklich“. Viele Menschen glauben, dass ein Haufen Geld ihnen das große Glück brächte. Was halten Sie ihnen entgegen?
Stefan Sagmeister: Die Gallup-Umfrage vom letzten Jahr, bei der 650.000 Amerikaner teilnahmen, kam zu folgendem Ergebnis: Geld macht einen großen Unterschied bis zu einem Verdienst von 85.000 Dollar im Jahr, also in etwa 5000 Euro im Monat. Darüber hinaus wird der Unterschied immer kleiner. Es werden lediglich Probleme ausgetauscht. Im Sinne von: Man kann Erste Klasse fliegen, aber der Cousin will sich immer Geld ausleihen.

Apropos Glück. Spielen Sie?
Stefan Sagmeister: Nein. Früher habe ich gerne mit Freunden gejasst. Casinos fand ich immer traurig.

 

Stefan Sagmeister

Der Grafikdesigner und Typograf Stefan Sagmeister wurde 1962 in Bregenz geboren. Er studierte an der Universität für angewandte Kunst in Wien und am Pratt Institute in New York. Nach seiner Zeit in Hongkong, wo er für die Werbeagentur Leo Burnett arbeitete, gründete er 1993 in New York die Sagmeister Inc. www.sagmeisterwalsh.com

 

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