Champagner-Charlie ist zurück.

Wer sind und vor allem wie heissen die Menschen, die hinter den Weinen stecken, die Formel-1-Sieger taumeln lassen, für Schiffstaufen unerlässlich sind und die ständig wachsende Welt der Geniesser rund um den Globus begeistern? Nach einem Besitzerwechsel sucht das Champagner-Haus Charles Heidsieck das Ungewöhnliche.

 

Text Christian Göldenboog  Fotos Charles Heidsieck  Foto- und Bildredaktion agenturengel  Published kultuhr 42, 2013

 

Heidsieck – dieser Name steht für eine ganz spezielle Historie und Abenteuergeschichte: 1785 heiratete der 1749 in Borgholzhausen bei Bielefeld geborene Florenz-Ludwig Heidsieck in Reims die Tochter eines Wollhändlers, im selben Jahr wurde eine Textil- und Champagner-Firma gegründet. Als Florenz-Louis 1828 kinderlos starb, begann unter den zwischenzeitlich aus Deutschland angereisten Familienangehörigen das Gründungsfieber: Einer seiner Neffen rief das Haus Heidsieck-Monopole ins Leben. Die Witwe eines zweiten Neffen verheiratete sich wieder mit Henri Piper, die Marke Piper-Heidsieck war geboren. Der Grossneffe von Florenz-Louis, Charles-Camille Heidsieck, leistete sich dann 1851 den Luxus, zusammen mit seinem Schwager Ernest Henriot die Firma Charles Heidsieck zu gründen. Später avancierte Charles-Camille zu einer illustren Figur der internationalen Wein-Historie: Er reiste mit einem Van-Zandt-Gewehr und einer „Jagdausrüstung von unerreichter Pariser Qualität“ (Harper‘s Weekly vom 28. Januar 1860) durch Amerika und verkaufte über 300.000 Flaschen – was ihm den Spitznamen Champagner-Charlie einbrachte. Vor allem liebte dieser Charlie den amerikanischen Süden: New Orleans, Louisiana, dort besonders auch die Damen, die nackten Tänzerinnen beim US-Vaudeville.

Hauptrolle Hugh Grant
Schön und gut, aber es war die Zeit der „Kriege zwischen den Staaten“ und irgendwann fiel Charlie den Kundschaftern der Nordstaaten auf. Diese verhafteten ihn und kerkerten ihn monatelang als Südstaaten-Spion ein – schliesslich trug Charlie Briefe französischer Tuchhersteller mit sich, in denen den Konföderierten Unterstützung in Form von Kleidung und Uniformen zugesichert wurde. Verfilmt wurde das Leben dieses Glücksritters 1989 für das amerikanische Fernsehen, Hugh Grant spielte Charles-Camille.

Im Laufe der nächsten hundert Jahre boomten die Heidsieck-Imperien wirtschaftlich und familiär; irgendwann aber verschob sich das Gleichgewicht zu Ungunsten der Ökonomie. Die vielen Familienmitglieder tranken derart viel Champagner, dass sich ihre Firmen eines Tages im Besitz anderer Konzerne befanden. 1985 gingen die Heidsiecks an die Spirituosengruppe Rémy-Martin über, die aber nicht viel mit dem edlen Champagner anfangen konnte. In dieser Zeit verlor Heidsieck viel von seiner einst brillanten Identität. Seit kurzem gehören nun Charles und Piper Heidsieck der Familie Descours, die diverse Firmen im Luxusgütersegment betreibt, u.a. die Schuhmanufakturen Weston und Michael Perry. 450 Millionen Euro betrug der Verkaufspreis, jetzt sollen die Marken endlich wieder an einstige Grösse und Ruhm herangeführt werden.

„Champagner ist ein Luxusprodukt, ja“, definiert Christopher Descours seine Sicht der Dinge, „aber ein ganz besonderes, da wir jedes Jahr sehr von der Natur und ihren Besonderheiten abhängig sind.“ In der Tat sind die Erntebedingungen in der Champagne stets unterschiedlich: Die Jahre 2010 und 2011 waren sehr gut. 2012 gab es durch Hagel und Feuchtigkeit viele Probleme. Und auch dieses Jahr wartet auf die Winzer nach diversen Sommerstürmen mit Feuchtigkeit viel Arbeit. Und so ist die grundlegende Konzeption des Champagners der Verschnitt: Die Kellermeister machen eine Assemblage für ihren Brut ohne Jahrgang, verwendet werden drei Rebsorten sowie ältere Reserveweine.

Champagner als Wein
Seitdem die Familie Descours die beiden Heidsieck-Firmen besitzt, ist Thierry Roset verantwortlicher Kellermeister für Charles. Die Idee ist, Piper-Heidsieck als klassischen Champagner, etwa zum Aperitif, zu belassen, Charles Heidsieck aber wieder als aussergewöhnlichen Wein zu etablieren. Seit 1988 ist Roset bei Charles, und er macht jedes Jahr eine klassische Assemblage aus den drei Rebsorten Chardonnay, Pinot noir und Pinot meunier. Der Clou aber bei Charles Heidsieck ist ein ungewöhnlich hoher Anteil an Reserveweinen für den Brut Réserve: 40 Prozent, wobei das Durchschnittsalter dieser im Stahltank gelagerten Weine zehn Jahre beträgt. Im Gaumen präsentiert sich dieser Champagner aussergewöhnlich weinig, komplex, Vanille, Nussaromen. „Dieser Champagner ist nicht für eine Fete bestimmt“, erklärt Roset. „Eher etwas für ein Essen mit Freunden.“

In guten Erntejahren stellt Charles Heidsieck auch einen Jahrgangschampagner her, aber die Krönung der Produktpalette stellt ein intensiver Blanc de Blanc dar, ein Champagner also nur aus den begehrten Chardonnay-Trauben: Auch beim Blanc des Millénaires ist die Idee, einen fülligen, komplexen Champagner als Wein zu kreieren. Derzeit ist Jahrgang 1995 auf dem Markt. Dieser Blanc des Millénaires ist ein Champagner für den besinnlichen Nachmittag oder ein aufregendes Rendezvous. Ganz im Sinne des illustren Firmengründers.

 

Die Fröhlichkeit der Kohlendioxid-Perlen.

© Charles Heidsieck

© Charles Heidsieck

Die Champagne ist seine zweite Heimat. Er hat sie jahrelang bereist und ist tiefer vor­gedrungen als so mancher vor ihm. Autor Christian Göldenboog schreibt erfolgreiche Bücher mit vielsagenden Titeln wie „Das Loch im Walfisch – Die Philosophie der Biologie“ oder „Wozu Sex – Von der Evolution der zwei Geschlechter“, aber wirklich am Herzen liegt ihm wohl letztlich vor allem der Champag­ner. In seinem neuen Buch „Die Champag­ner-Macher“ zeichnet er nun eine umfassen­de Landkarte des prickelnden Welterfolges: Sie reicht von der Kunst der Assemblage über die Bedeutung der Säuren, von biolo­gisch-dynamischer Mineralität über die Philo­sophie der Reserveweine bis hin zu Bubble Science und Biochemie. All dies nicht nur oberflächlich angekostet, sondern bis auf den Grund gegangen – lustvoll prickelnd wie der Champagner selbst und voller Persönlichkei­ten, Geschichten und mancher Geheimnisse der Kellermeister, die so noch nie preisgege­ben wurden. Vervollkommnet wird diese lite­rarische Cuvée durch die fein komponierten Bilder des renommierten Fotografen Oliver Rüther, der Göldenboog auf seiner Reise be­gleitet hat: Durch seine Linse werden Facet­ten der Champagner-Macher sichtbar, die mit Worten nicht zu fassen sind. Für uns hat er einen Grandseigneur der Champagnerdynas­tien getroffen: Charles Heidsieck gewährt einen Blick hinter die Kulissen.

 

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